Mit ihrem Film „Lesbians Free Everyone“ blickt Beverley Ditsie zurück auf Kämpfe um lesbische Sichtbarkeit auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995. Im März 2025 zeigten die Frauen*solidarität und die Grünen Andersrum Wien den Film im Wiener Votivkino. ULRIKE LUNACEK hat die besten Momente aus dem anschließenden Online-Gespräch zusammengetragen.
Die südafrikanische Aktivistin und Filmemacherin Beverley Ditsie war schon in den 1980ern und 1990ern als Schauspielerin und Regisseurin von TV-Filmen tätig, bis heute hat sie mehr als 20 Dokumentarfilme produziert – zu „Geschichten, die die Menschen kennen sollten, die aber kaum bekannt sind“, wie sie im Interview mit „The Sowetan“ erzählt.
1995 erlangte sie internationale Bekanntheit, als sie in Beijing als erste offen lesbische Frau das Plenum der Staatsund Regierungschef_innen adressierte: „Wenn die Weltfrauenkonferenz die Belange aller Frauen behandeln soll, dann muss sie anerkennen, dass die Diskriminierung auf Basis der sexuellen Orientierung eine Verletzung grundlegender Menschenrechte ist.“ Wie dies gelang, hat sie 2020 in dem Film „Lesbians Free Everyone“ dokumentiert und im Gespräch mit mehr als 20 Aktivist_innen von damals Revue passieren lassen.
Gegen die Apartheid
Im Township Soweto 1971 geboren und aufgewachsen, wurde Beverley Palesa Ditsie schon in ihren Teenage-Jahren zur Aktivistin gegen die menschenverachtenden Rassengesetze des Apartheid-Regimes. Sie war 1988 eine der Gründer_innen der Gay and Lesbian Organization of Witwatersrand (GLOW) und 1990 Mitorganisatorin des ersten Pride March am afrikanischen Kontinent in Johannesburg. Dafür wurde sie bekannt, beliebt – aber auch gehasst. In den 1990er Jahren war Ditsie nach dem Ende der Apartheid Teil einer Kampagne für eine neue Verfassung, in der festgeschrieben werden sollte, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht diskriminiert werden dürfen.
Im Q&A nach der Vorführung ihres Films erzählte sie: „Die meisten diskriminieren LGBTIQ-Menschen aus Unwissenheit – deshalb braucht es Sichtbarkeit. Uns wurde klar, dass wir in unseren eigenen Communitys, in den Townships, überall, für unser Anliegen werben und die Menschen überzeugen mussten.“
Nach dem Motto „Each one teach one“ setzten die Aktivist_ innen auf das persönliche Gespräch, gingen auf jede Konferenz und nutzten jedes Forum. Und sie schafften es damit, in der neuen Verfassung von 1996 die Nicht-Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu verankern – als erstes Land der Welt!
Lesbische Sichtbarkeit
Die LGBTIQ-Community war schon im Vorfeld der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing international vernetzt. Lesbische Feministinnen hatten sich bereits bei den Vorgängerkonferenzen etwas Platz und Sichtbarkeit verschafft. Für Beijing war es ihnen in einigen Ländern Asiens, Lateinamerikas, Afrikas und Europas gelungen, in den nationalen Vorbereitungserklärungen spezifische Forderungen zu verankern. All dies wollten sie bei der 4. Weltfrauenkonferenz und dem angeschlossenen NGO-Forum zu einer starken Kampagne lesbischer Sichtbarkeit wachsen lassen. Ditsie war eine von ihnen. „Bevor ich nach Beijing fuhr, war ich ziemlich desillusioniert, besonders von den patriarchalen Verhaltensweisen von afrikanischen schwulen Männern. Sie erwarteten, dass wir Lesben sie im Kampf gegen HIV/Aids unterstützten und sie versorgten, wenn sie krank wurden – und wir taten das auch. Wir machten viele Aufklärungskampagnen – aber der Fokus lag immer auf schwulen Männern. Kaum je redeten wir über lesbische Gesundheit, über Gewalt gegen Frauen – und vor allem gegen lesbische Frauen“, erzählt Ditsie. Sie habe das Thema immer wieder laut und deutlich aufs Tapet gebracht – und wurde zur Zielscheibe von Belästigungen und Drohungen. Ihr Leben sei damals in Gefahr gewesen. „Und dann war ich in Beijing, sah all die Solidarität und wie andere Lesben ähnliche Probleme in ihren eigenen Ländern und ihren Organisationen hatten – das gab mir Mut, ich hatte endlich das Gefühl, nicht allein und isoliert zu sein. Das hat mich radikalisiert.“ Sie war überrascht, nach ihrer Rückkehr nach Johannesburg, Glückwünsche von allen Seiten zu bekommen, „auch von Männern, die voller Bewunderung sagten: ‚Oh mein Gott, du setzt dich ja wirklich für diese Sache ein, bis hinauf zu den Vereinten Nationen!‘ Und auf einmal fühlte ich mich sicher.“
Lesbians Free Everyone
Der Titel von Ditsies Dokumentarfilm geht auf einen Slogan auf den Transparenten im Lesbenzelt des NGO-Forums zurück. Lesbians Free Everyone drückt aus: Wenn die am meisten unterdrückten Menschen sich befreien, werden auch alle anderen frei werden. Es geht also um sexuelle Autonomie und Menschenrechte für alle. „Lesbians Free Everyone bedeutet auch, auf Gespräche zu drängen, die schwierig, aber notwendig sind, wenn es um die Anerkennung der Menschenrechte von allen Menschen geht. Heute benutzen wir das Wort lesbisch nicht mehr so viel, es werde mehr „queer“ oder anderes verwendet. Aber zu sagen, ich bin lesbisch, das ist schon revolutionär, denn du legst deine Identität außerhalb des Patriarchats fest. Das kommt auch im Film heraus.“ Das Patriarchat unterdrücke Frauen genauso wie queere Menschen und trans Personen, erklärt Ditsie. Es ist dasselbe System, das Rassismus, weiße Vorherrschaft, den Kapitalismus vorantreibe und sich gegen arme Menschen, gegen Menschen mit Behinderung und auch gegen Umweltschutz stelle.
Für alle Frauen
Ob es Parallelen zwischen dem Kampf für Lesbenrechte vor 30 Jahren und dem Kampf für Transrechte heute gebe?, kommt eine Frage aus dem Publikum im Votivkino. „In meiner Rede habe ich damals ja gesagt: Lassen Sie uns diese Konferenz eine für alle Frauen machen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Heute hätten wir wohl mit der Sprache, die wir jetzt haben, die Rechte aller Frauen inkludiert und Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck hinzugefügt“, antwortete Ditsie. Und eine weitere Beobachtung thematisiert sie: „Was mich alarmiert, ist, wie sehr wir uns vereinzelt haben und getrennt kämpfen, denn die Wirkung von Beijing lag in der Verbundenheit, im gemeinsamen Ziel, im gemeinsamen Handeln. Wir sind heute so gespalten, haben diesen Community-Spirit ein wenig verloren! Manchen steht auch das eigene Ego im Weg. Der einzige Weg, diesen verkrüppelten Kapitalismus, diese Homophobie und Transphobie zu bekämpfen, liegt in der Community. Denn wir müssen – bei Anerkennung unserer Unterschiede – die Solidarität suchen. Damals waren wir auch alle sehr verschieden – in Ideologien, in Arbeitsweisen, Herangehensweisen und Strategien –, aber wir kamen zusammen und haben Wellen geschlagen, wir haben diese Konferenz aufgerüttelt!
Und: Ich habe gesehen, wie ein Land [Südafrika, Anm.] sich von der schlimmsten Scheiße, die es gibt, befreien kann – und jetzt sind wir wieder in einer Scheiß-Situation. Wir können uns befreien, es ist möglich. Ich gebe diese Hoffnung nicht auf.“
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Ulrike Lunacek ist stellvertretende Obfrau der Frauen*solidarität.