Artikelbild

Ein Kampf um Herz und Verstand

Ein Artikel von:
Bernadette Schönangerer

2009 begann der Aufstand der islamistischen Boko Haram gegen den nigerianischen Staat, den sie als westlich und korrupt ansehen. 2014 löste die Verschleppung von Mädchen aus einer Schule in Chibok weltweit Entsetzen aus. Seither ist der Konflikt aus den Medien verschwunden, doch die Attacken halten an. CHITRA NAGARAJAN hat vielfältige Stimmen aus der Region in ihrem Buch „The World Was In Our Hands“ versammelt.
Interview: BERNADETTE SCHÖNANGERER

Du arbeitest als Forscherin, Vermittlerin und Beraterin in Konfliktregionen und in der Friedensförderung. Wie bist du Expertin für die Tschadsee-Region geworden?

Seit etwa 15 Jahren arbeite ich im Bereich Konfliktanalyse, Menschenrechten und im Peacebuilding, vor allem in Westafrika. 2013 bin ich nach Nigeria, wo ich geboren wurde, zurückgekehrt, um in einem Friedensförderungsprogramm zu arbeiten. Wir arbeiteten daran Sicherheitskräfte, Regierungsvertreter_innen, Zivilgesellschaft und Communitys zusammenzubringen und die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen zu erhöhen; an Prävention und Verbesserungen im Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und an konfliktsensibler Berichterstattung durch die Medien. 2016 bin ich nach Maiduguri im Nordosten Nigerias gezogen, um dort das Center for Civilians in Conflict zu leiten. Dort schulten wir Sicherheitskräfte in Menschenrechten, humanitärem Völkerrecht und dem Schutz der Zivilbevölkerung während Einsätzen. Wir arbeiteten mit Zivilist_innen, um ihnen ihre Menschenrechte zu vermitteln und Schutz und Sicherheit zu gewährleisten. Und schließlich brachten wir Zivilist_innen und Sicherheitskräfte zusammen, um Lösungen für die Sorgen der Zivilbevölkerung zu suchen.

Ich war auch Teil feministischer und queerer Bewegungen in Nigeria. 2018 habe ich zusammen mit zwei Freund_innen ein Buch (mit dem Titel She Called Me Woman, Anm.) veröffentlicht, das das Leben queerer Frauen in Nigeria dokumentiert. Und es war wegen dieses Buches, warum ich angefangen habe, über den Konflikt in der Tschadsee-Region zu schreiben. Durch meine Arbeit in Nigeria und weil ich außerdem zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit in der Region forschte, auch in den Nachbarländern Tschad, Kamerun und Niger, die ebenfalls vom Konflikt betroffen sind, gewann ich einen echten Einblick in die Geschehnisse. Als ich das Buch fertigstellte, hatte ich bereits über 700 Interviews geführt, und seither sind es noch mehr geworden.

Dieses Jahr ist dein Buch „The World Was In Our Hands“ erschienen, in dem die Geschichten von etwa 50 Personen, die du in der Region interviewt hast, gesammelt sind. Was hat dich dazu motiviert, daraus ein Buch zu machen?

Das Bild, das in den Medien und in der öffentlichen Debatte präsentiert wurde, war sehr weit weg von der Realität des Konflikts und den Geschichten, die ich hörte. Zum Beispiel gibt es eine sehr strikte Binarität von Männern als Verteidiger und Kämpfer und Frauen als Opfer und Überlebende. Es fehlten die Geschichten über die Verletzlichkeit von Männern und die Handlungsfähigkeit von Frauen und die Rollen, die sie gezwungen werden zu übernehmen, um sich selbst, ihre Familien und ihre Communitys zu schützen. Ich fühlte mich verpflichtet, diese Realitäten zu dokumentieren.

Die Medien konzentrierten sich entweder auf die Entführung der Mädchen aus Chibok, oder sie berichteten über tägliche Kampfhandlungen und Statements der Militärs und Oppositionsführer. Sie zeigten nicht das ganze Bild.

Dieser Inhalt ist nur für Abonnent*innen sichtbar. Wenn Sie bereits Abonnent*in sind loggen Sie sich bitte ein. Neue Benutzer*innen können weiter unten ein Abo abschließen und erhalten sofort Zugriff auf alle Artikel.

Existing Users Log In
   
New User Registration
Please indicate that you agree to the Terms of Service *
captcha
*Required field
Weitere Artikel aus dem Thema