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Jackeline Rojas Castañeda (©Jackeline Rojas Castañeda)

FRIEDENSPROZESSE UND KÄMPFE

Ein Artikel von:
Jenny Olaya-Peickner

Die kolumbianische Menschenrechtsverteidigerin Jackeline Rojas Castañeda gibt nicht auf

Seit mehr als 50 Jahren tobte in Kolumbien ein blutiger Konflikt. Im November 2016, nach mehr als fünf Jahren zäher Verhandlungen und einem fehlgeschlagenen Referendum, herrscht große Euphorie: Ein Friedensvertrag, in dessen Erstellung auch zahlreiche Frauenorganisationen involviert waren, wird am 24. November unterzeichnet. Die Hoffnung auf wirklichen Frieden im Land ist endlich da. Maria Jackeline Rojas Castañeda – selbst direktes Opfer des bewaffneten Konflikts – war Teil des Friedensprozesses zwischen dem kolumbianischen Staat und der FARC-EP-Guerilla.

Ich sah Jackeline Rojas dreimal, und bei jedem Treffen war ein Wort präsent, das den Antrieb ihrer Arbeit beschreibt und Bewunderung bei jenen auslöst, die es nicht gewohnt sind, in einer Welt wie der ihrigen zu leben: das Wort Hoffnung. Ein Wort, das wohl oder übel das Einzige ist, was Aktivist_innen in Kolumbien bleibt, nach so vielen Jahren Gewalt und so vielen Toten1 und einem Konflikt, der nicht enden will.

Wer ist Jackeline Rojas?

Jackeline Rojas kommt aus einer heißen Region in Kolumbien. Heiß nicht so sehr wegen der Temperatur, sondern wegen der im Territorium seit Jahrzehnten andauernden blutigen Auseinandersetzungen zwischen Guerillas, Paramilitärs, der Regierung und Interessen nationaler und ausländischer Konzerne. Sie verkörpert die Art von Aktivistinnen, die weniger dafür geschaffen, als vielmehr aufgrund so viel Ungerechtigkeit dazu gemacht wurden. Für sie bedeutet die Situation im Land einen lebenslangen Lernprozess: denn sie wehrt sich dagegen, ein militärisches Ziel von Paramilitärs zu sein, und prangert weiterhin an und ermuntert zur Diskussion, um eine Gesellschaft zu bilden, die über die Vergangenheit nachdenkt und Zukunft gestaltet. Für Rojas ist der Prozess des Friedensabkommens, das vor fünf Jahren unterzeichnet wurde, kein Zauberakt, sondern ein gesellschaftlicher Akt, der einzig und allein darauf abzielt, strukturelle Veränderungen durch die wirklichen Machthaber_innen zu erreichen: „Es ist notwendig, den Krieg zu beenden, damit wir endlich glauben können, dass Frieden erreicht werden kann. Den Krieg zu stoppen bedeutet nicht nur, Gewehre zum Schweigen zu bringen oder Vereinbarungen mit den bewaffneten Akteur_innen zu treffen, sondern auch strukturelle Antworten für eine bessere Lebensqualität für Männer und Frauen im Land zu erreichen“, sagte sie schon während ihres Besuchs in Wien 2007. Und bei ihrem Besuch 2020 ergänzt sie auf meine Frage, ob sie noch immer so denke und eine Präsidentschaft von Gustavo Preto2 für möglich halte: „Ja. Weil es eine Sache ist, die Präsidentschaft zu erreichen, und eine andere, die Macht zu erlangen. Es ist wichtig zu glauben, dass man nach dem Wahlsieg das Fenster öffnet und sagen kann: das war’s, alles ist gelöst.“

Was bringen Friedensverhandlungen?

Anders als bei vorherigen versuchten und gescheiterten Friedensprozessen, an denen nur Ex-Guerillas teilnehmen durften, betont Rojas die Wichtigkeit der Teilnahme von Kämpfer_innen und Frauen. Sie selbst nahm an den Verhandlungen in Havanna als direktes Opfer des Konflikts teil, denn sie wurde von bewaffneten Gruppen angegriffen wie auch von staatlicher Seite verfolgt. Deswegen betont Rojas, dass die Stimme aller, einschließlich der der Kämpfer_innen, als Frauen und als Frauenkörper, gehört werden und im gesamten Abkommen erkennbar sein müsste. Vereinbarungen, die meist nur von Ex-Guerillas umgesetzt wurden. Hat dieser Prozess, der in vielen Ländern Schlagzeilen machte und viel Beifall erhielt, noch eine Zukunft, wenn nicht alle beteiligt sein können? Laut Rojas sind erst 30 % der Forderungen umgesetzt, nämlich jene Punkte, die die Entwaffnung der Ex-Guerillas betreffen. Es scheint, dass die Kolumbianer_innen nicht in der Lage waren, eine andere Realität zu kreieren oder zu leben – die Zahl der Massaker und Vertreibungen ist in den letzten fünf Jahren nicht zurückgegangen. Für Rojas ist es wichtig, das Land nicht allein zu lassen, sondern weiter zu begleiten. Jedoch: „Die Verpflichtungen eines globalen Nordens müssen schlagend sein.“ Eine Forderung, die der gesamte lateinamerikanische globale Süden artikuliert und die die Aktivist_innen, Bauernführer_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen seit vielen Jahren einfordern. Damit dies geschieht, bleibt uns, was Rojas so treffend beschreibt: die Hoffnung – zwar vielleicht nur das Wort ohne Magie, aber voller Kraft.

Anmerkungen: 1 Verschiedene Daten gehen von 220.000 Toten – 80 % davon Zivilist_innen, mehr als sechs Millionen Binnenvertriebenen, 25.000 Vermissten, fast 2.000 Massakern seit 1958 aus. Mehr als die Hälfte aller Opfer sind laut UN Women Colombia Frauen. // 2 Gustavo Preto ist ein kolumbianischer Politiker, ehemaliges Guerillamitglied und Präsidentschaftskandidat, zuvor Bürgermeister von Bogotá. Der Linkspolitiker war in den 1980er Jahren Mitglied der revolutionären Guerillagruppe M-19. Bei den kolumbianischen Präsidentschaftswahlen 2018 belegte er den zweiten Platz.

Hörtipp: Ein Interview mit Jackeline Rojas Castañeda wurde am 12.1.2022 auf Radio Orange 94.0 im Rahmen der Globalen Dialoge der Women on Air ausgestrahlt. Nachzuhören auf www.noso.at