Auch mir ging es so, damals im Jahr 1985, vor fast 40 Jahren – und deshalb wollte ich die Organización Femenina Popular (OFP) heuer im Rahmen einer Kolumbienreise wieder besuchen. Aufwühlend, was sie in diesen vier Jahrzehnten alles erkämpft, erlitten, erlebt, erreicht haben, die Frauen der OFP in Barrancabermeja, Kolumbien.
„Wir haben im Rahmen der Befreiungstheologie – unsere Basis von Anfang an, seit 1972 – unsere eigenen, sehr starken Arbeitsmethoden aufgebaut“, erzählt uns Yolanda Becerra Vega1 bei unserem Besuch Ende Jänner. Sie ist seit vielen Jahren Direktorin und diejenige, die Ende der 1980er Jahre den Mut hatte, den Weg der OFP in die Unabhängigkeit von der katholischen Kirche voranzutreiben – was im Übrigen auch die befreiungstheologischen Priester der dortigen Kirche befürworteten, zu sehr wussten sie, dass auch die Kirche in diesem von (Para-)Militär und Guerrilla umkämpften Gebiet keine Sicherheit bot.
„Es ging und geht uns darum, nachhaltige Netze zu weben, die Gesellschaft zu transformieren – und immer klar zu wissen, was das Ziel ist, auch wenn der Weg noch nicht gebaut ist. Die OFP hat diese starke Anziehungskraft: Wer uns kennenlernt, vergisst uns nicht“, so Yolanda. Auch in den dramatischsten Zeiten ihrer Existenz – das waren vor allem die Jahre zwischen 1996 und etwa 2010, als die Paramilitärs die Region „eingenommen hatten“, wie Yolanda erzählt, sei es ihnen gelungen, immer „aus der Asche etwas zu bauen. In diesem lebensfeindlichen Kontext – bewaffneter Konflikt, Krieg, Kämpfe um Land, Armut – konnte die OFP geboren werden, wir sind mit ihr gewachsen und werden jetzt auch alt“, sagt sie mit einem Lachen.
„In Kolumbien gibt es überall dort Konflikte, wo es Reichtum gibt, Reichtum an Ressourcen, an Land und an Menschen“, sagt sie. Und die Region des Magdalena Medio, rund um den wichtigsten und längsten Fluss des Landes, hat alle drei: die Hauptstadt der Region, Barrancabermeja, war und ist die Stadt mit der wichtigsten Erdölförderung – kein Wunder, dass hier auch seit 1923 eine der stärksten Gewerkschaften beheimatet ist, die Unión Sindical Obrera de la Industria del Petroleo (USO). In der Region gibt es auch einiges an Bergbau: Kohle, Uran, Gold u. a. m. Und die Frage nach dem Landbesitz – Großgrundbesitz (Viehzucht, auch in Kolumbien wird sehr gerne Fleisch gegessen) versus Kleinbäuerinnen und -bauern ist hier ebenso virulent.
In den heftigsten Jahren ihrer Existenz waren die „Häuser der Frauen“ (sie hatten in den stärksten Zeiten vier) immer Zufluchtsstätte. Die OFP war diejenige Organisation, die damals den gemeinsamen Widerstand mit Kirche, Frauenorganisationen, Gewerkschaften und Bäuer_innen anführte. „Wir Frauen wurden die Protagonistinnen im Kampf um Land und für das Leben. Drei unserer Compañeras wurden umgebracht. Wir wurden verfolgt, bedroht und gefoltert. In dieser Situation wurden unsere Häuser zu einer humanitären Bleibe, vor allem Jugendliche, aber auch ganze Familien, die bedroht wurden und die ihre Häuser innerhalb von wenigen Stunden verlassen mussten, fanden in unseren Häusern Schutz. Wir konnten viele Leben retten, z. B. indem wir einigen über Botschaften sicheres Geleit ins Exil ermöglichten, oder dass sie in andere Teile des Landes flüchten konnten. Und da die Paramilitärs wussten, dass die OFP international anerkannt war und unterstützt wurde, wagten sie es nicht, in die Sitze der OFP einzudringen“, erzählt Yolanda.
2012 hatte sich die Situation im Land etwas verbessert, unter Präsident Santos gab es Reparationszahlungen für Opfer des bewaffneten Konflikts, und die OFP errichtete mit dem Geld ein beeindruckendes, einzigartiges Museum der Erinnerung und der Menschenrechte von Frauen im ersten Stock ihres Hauptsitzes. Dieses Haus konnten sie übrigens Ende der 1980er Jahre über Finanzmittel der Katholischen Frauenbewegung Österreichs kaufen – diese unterstützte sie, als sie sich damals von der katholischen Kirche des Ortes unabhängig machten. Und es enthält auch das wunderbare Motto der Organisation. Sie sehen sich nicht als Opfer, sondern als Protagonistinnen des Widerstandes: „Sie wollten uns begraben … Sie wussten nicht, dass wir Samen sind.“
Die Kämpfe von damals sind heute teils andere geworden, doch eines ist gleich geblieben: der Mut zum Widerstand, die Suche nach politischen, ökonomischen, sozialen Lösungen für Frauen – und der „feminismo popular“, wohl am besten mit „Feminismus von unten“ zu übersetzen, den sie über die Jahrzehnte aufgebaut haben.
Seit etwas mehr als fünf Jahren gibt es nun auch die „Comunera“, das Öko- Tourismus-Zentrum der OFP in Lebrija in der Nähe von Bucaramanga, etwa zwei Stunden Autofahrt von Barrancabermeja entfernt. Über den Anbau und die Verarbeitung von Kräutern, Obst und Gemüse sollen ökonomische Möglichkeiten für Frauen geschaffen werden. Das Haus (mit einigen Gästezimmern) steht auf einer Anhöhe, unterhalb blüht und gedeiht auf abschüssigem Gelände alles, was es in der Region so gibt: Guanábanas, Guavas, Papayas, Avocados, Sternfrüchte, Orangen, Zitronen, verschiedenste süße und Koch-Bananen und Dutzende verschiedene Kräuter. In einem kleinen chemischen Labor werden Citronella-Öle und Seifen produziert. Die Verkaufspreise sind niedrig, denn sie wollen nicht nur Einkommen für das Projekt generieren, sondern es sollen sich alle etwas von ihren Produkten leisten können.
Anfang Februar ging in Barrancabermeja ein neu renoviertes Frauenhaus der OFP für misshandelte Frauen und ihre Kinder in Betrieb. Strukturell ist klar, dass Entscheidungen in der Organisation allein von Frauen getroffen werden. In der Rechtsberatung arbeitet die OFP aber auch mit Anwälten zusammen – und vor Kurzem gelang es über eine Klage, den Angehörigen einer von ihrem Mann brutal ermordeten Frau Entschädigungszahlungen der Stadtgemeinde Bucaramanga zu sichern – denn diese hatte das mehrmalige Hilfe-Suchen der Frau ignoriert.
Auch wenn sich seit dem Friedensvertrag mit der Guerrilla-Organisation FARC aus dem Jahr 2016 die Sicherheitslage im Land gebessert hat, sind nicht nur im Magdalena Medio immer noch Gruppierungen von Paramilitärs bzw. Guerilla aktiv, die sich nicht am Friedensprozess beteiligen wollen: Ende Jänner erhielt die OFP erneut Drohungen von einer berüchtigten rechtsextremen „Selbstverteidigungs“-Gruppe, die sie zu „militärischen Zielen“ erklärte. Sicherheit und Solidarität sind also weiterhin Gebot der Stunde für die OFP, auch nach mehr als 50 Jahren voller Widerstand – und Erfolgen!
Anmerkung: 1 Ein Interview mit Yolanda Becerra Vega zu 50 Jahren OFP findet sich im Buch „Global Female Future. Wie feministische Kämpfe Arbeit, Ökologie und Politik verändern“, erschienen 2022 im Verlag Kremayr & Scheriau.
Die Autorin: Ulrike Lunacek ist stellvertretende Obfrau der Frauen*solidarität und war von 1995 bis 2020 Bundes- bzw. Europapolitikerin der Grünen, sie lebt als Autorin, Referentin und Moderatorin in Wien.
