Artikelbild

„Hauptsache kämpferisch“

Ein Artikel von:
Mirabell Eckert

Über das Buch „Global Female Future“

„Ob flauschig oder militant – wichtig ist der Widerstand!“, scheppert es am feministischen Kampftag aus einem Lautsprecher. Leider ist auch im Jahr 2023 globaler feministischer Widerstand noch mehr als nötig, um eine Zukunft herbeizuführen, wie wir sie uns wünschen. Einen Einblick in globale feministische Bewegungen, Kämpfe, Fortschritte sowie Rückschläge gibt das Buch „Global Female Future“. Die Autorin hat mit zwei der Herausgeberinnen gesprochen.

In Zeiten globaler Unsicherheit und multipler Krisen, in einer Welt, die von patriarchalen Strukturen durchzogen ist, frage ich mich häufig, woher ich die Kraft ziehen soll, weiterhin zu versuchen, an einer besseren Welt zu arbeiten. Wie ein auf dem Rücken liegender Käfer strample ich dann gegen das Gefühl der Handlungsunfähigkeit an, in dem Versuch, wieder auf die Beine zu kommen. Doch dann ist da der 8. März – feministischer Kampftag. Und inmitten von tausenden Menschen und Sprechgesängen kommt sie wieder, die Hoffnung, und ein Gefühl der Handlungsfähigkeit. Denn wir sind viele und haben eines gemeinsam: den kollektiven Wunsch nach Veränderung und den Willen, dafür zu kämpfen.

Wer aller kämpft?

Ähnlich geht es mir beim Lesen des Buches „Global Female Future“, herausgegeben zum 40-Jahr-Jubiläum der Frauen*solidarität von deren Mitbegründerinnen Andrea Ernst und Gerda Neyer sowie den Mitstreiterinnen Ulrike Lunacek, Rosa Zechner und Andreea Zelinka.

Das Buch bietet globale feministische Perspektiven auf große Fragen unserer Zeit, erzählt von und mit Autor_innen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa. Thematisiert werden u. a. (Anti-)Rassismus und Postkolonialismus, Gewalt, Reproduktion, Politik, Arbeit und Klima. Das Buch macht Mut, denn es zeigt, wie weit wir bereits gekommen sind und wie viele Menschen und Bewegungen sich weltweit für eine feministische, bessere Zukunft einsetzen. Es erinnert mich daran, dass Veränderung möglich ist. „In 40 Jahren Frauen*solidarität kämpft man viele verschiedene Kämpfe, engagiert sich in den verschiedensten Bereichen und lernt natürlich viele Frauen und Wegbegleiter_innen kennen. Diese Wegbegleiter_innen, Mitstreiter_innen und feministischen Aktivist_innen wollten wir versammeln“, sagt Andreea Zelinka. „Letztendlich ist so ein historisches Dokument entstanden, das zeigt, wie feministische Perspektiven in allen Lebensbereichen wirken müssen und wie wir mit einem Blick zurück Aussagen über die Gegenwart treffen, aber auch vorausschauen können. Deswegen auch ,Global Female Future’.“ Die im Buch abgebildeten unterschiedlichen Lebensrealitäten zeigen für Andreea Zelinka, dass Feminismus vielfältig ist und unterschiedlich aussehen kann, soll und darf. Dementsprechend gibt es auf die Herausforderungen unserer Zeit nicht die eine, sondern verschiedene kontextabhängige feministische Antworten.

Wo ist die Handlungsmacht?

Obwohl das Buch unbequeme Themen auf den Tisch bringt, schafft es jeder einzelne Beitrag, eine feministische Handlungsperspektive aufzuzeigen. Das ist nicht etwa Zufall, sondern Kriterium bei der Auswahl der Artikel gewesen, betont Mitherausgeberin Andrea Ernst:

„Mit den Texten wollten wir einen breiten Bogen spannen, der in die Zukunft weist und die Perspektiven von Frauen aus dem globalen Süden aufzeigt. Wichtig war uns dabei nur, dass wir in jedem Artikel eine Inspiration haben; also dass etwas nach vorne weist und zeigt, dass Gesellschaft gestaltet werden kann, egal ob auf der südlichen oder nördlichen Halbkugel.“ Die angesprochene Fähigkeit, Gesellschaft zu gestalten, stellt eine Form von Handlungsmacht dar, im Englischen als agency bezeichnet. Der Begriff beschreibt das Vermögen eines Individuums oder einer Gruppe, in gesellschaftliche Verhältnisse einzugreifen und diese zu beeinflussen. Ein gutes Beispiel dafür sind Widerstandsbewegungen. Immer wieder haben sie in der Weltgeschichte die Machtverhältnisse zwischen Regierenden und Bevölkerung verändert. In „Global Female Future“ hat Luisa Dietrich-Ortega über die Rolle von Frauen in lateinamerikanischen Guerillabewegungen geschrieben. Besonders eindrücklich war für mich dabei der Widerspruch zwischen dem, was Frauen vom bewaffneten Kampf berichten, und dem, was über ihren Einsatz erzählt wird: Während Frauen den Erwerb neuer Fähigkeiten betonen und von gestärktem Selbstvertrauen sprechen, sind die Erzählungen über sie geprägt von stereotypen Narrativen wie der Ausbeutung und Entmachtung der Frauen.

Im Gegensatz zu Männern, so Dietrich-Ortega, wird den Frauen nach ihrer Rückkehr aus dem Kampf häufig jede politische Handlungsmacht abgesprochen und der von ihnen geleistete Beitrag im Widerstand trivialisiert und heruntergespielt.

Woraus können wir Kraft ziehen?

Es ist wichtig zu verstehen, dass Handlungsmacht immer im Zusammenhang mit bestehenden Machtverhältnissen – sei es auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Ebene – betrachtet werden muss. Denn diese Machtverhältnisse sind vielfältig und beeinflussen maßgeblich, wer gehört wird und wer nicht. Das bedeutet aber keineswegs, dass wir uns bestehenden Machtstrukturen hilflos ausgesetzt fühlen sollten. Im Gegenteil: Um die patriarchal und von struktureller Ungleichheit geprägten Systeme unserer Welt zu überwinden, müssen wir uns für Veränderungen im Kollektiv organisieren und zusammenarbeiten. Und machen wir uns nichts vor: Das kostet Kraft und Energie. Woraus also ziehen wir die Kraft, die Motivation und den Willen? Für Andrea Ernst spielen dabei soziale Erfahrungen, die besonders in Veränderungsprozessen von Bedeutung seien, eine große Rolle: „Alles, was wir verändern wollen, können wir nur mit anderen gemeinsam tun. Eine wichtige Erkenntnis für mich war, dass alles, was wir als Missstände oder als Probleme, Krisen und Kriege wahrnehmen, von Menschen gemacht ist und dementsprechend auch wieder veränderbar ist. Besonders für Frauen ist die Erfahrung wichtig, nicht allein zu sein – als Frau ist man nie allein.“Andreea Zelinka versucht außerdem, ihren Blick auf die Dinge zu richten, die bereits erkämpft und erreicht wurden: „Wenn ich nur die derzeitige Situation betrachte, erscheint es mir in Anbetracht der Klimakatastrophe und der Übermacht des Kapitals tatsächlich ein wenig aussichtslos. Aber nichts passiert immer nur in eine Richtung, und es gibt Menschen, die sich einsetzen und politische Siege erkämpfen. Nur miteinander können wir voranschreiten, aufeinander aufpassen und versuchen, die Welt herbeizuführen, die wir uns wünschen.“ Aus dem Bewusstsein, auf den Schultern von Frauen vor uns zu stehen, zieht Luisa Dietrich-Ortega Kraft. Und Motivation daraus, dass auch auf ihren Schultern einmal Frauen stehen werden:„Hauptsache kämpferisch und eine Inspiration für die Generation und die Frauen und die Mädchen nach uns!“ Auch wenn es manchmal schwierig erscheint, ist es wichtig, weiterhin motiviert, wütend und kämpferisch zu bleiben und den Glauben an die eigene agency nicht zu verlieren – nicht nur als Individuum, sondern vor allem auch im Kollektiv. Ein Kollektiv, das die globalen feministischen Bewegungen miteinander vernetzt, damit wir gemeinsam immer lauter und sichtbarer werden!

Hörtipp: Das Interview mit Andrea Ernst, Andreea Zelinka und Luisa Dietrich-Ortega wurde im Rahmen der Globalen Dialoge der Women on Air im März 2023 auf Radio Orange 94.0 ausgestrahlt und ist nachzuhören unter: https://noso.at/?p=7400

Lesetipp: Andrea Ernst, Ulrike Lunacek, Gerda Neyer, Rosa Zechner, Andreea Zelinka (Hrsg.): Global Female Future. Wie feministische Kämpfe Arbeit, Ökologie und Politik verändern. Kremayr & Scheriau: Wien. 2022

Zur Autorin: Mirabell Eckert studiert im Master Internationale Entwicklung und ist außerdem Redakteurin der Sendereihe Globale Dialoge der Redaktionsgruppe Woman on Air bei Radio Orange 94.0.