Foto: Otto Penz

In memoriam Eva Kreisky

Kurz vor ihrem 80. Geburtstag verstarb Eva Kreisky am 14. August 2024. Eva war Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Pionierin der feministischen Entwicklungszusammenarbeit in Österreich und erste Obfrau der Frauen*solidarität.

Es ist mehr als 40 Jahre her, da haben Eva und eine Gruppe gleichgesinnter Frauen die Initiative zur Gründung der Frauen*solidarität gesetzt. Damals war das etwas völlig Neues: die erste feministische, entwicklungspolitische Organisation in Österreich, die Förderungen aus der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit für ein Projekt für Frauen im globalen Süden durchsetzte. All dies verdankt sich der Zielstrebigkeit, dem Engagement, politischen Weitblick und unbrechbaren Willen Evas und ihrer Mitkämpferinnen, gemeinsam die Situation von Frauen weltweit zu verbessern. Mit der Gründung der Frauen*solidarität und der gleichnamigen Zeitschrift ist es gelungen, die Sichtweise und Richtung der Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik in Österreich entscheidend zu verändern.

Als scharfsinnige Analytikerin von Machtstrukturen und als exzellente Wegweiserin durch das internationale Getümmel der Politik und des politischen Handelns war Eva ein Vorbild für andere entwicklungspolitische Initiativen und viele entwicklungs- und frauenpolitisch Engagierte.

Concientización: Blumen-Arbeiterinnen in Kolumbien

Die Geschichte der Frauen*solidarität und des ersten Frauenprojektes in der Geschichte der österreichischen Entwicklungshilfe beginnt im Juli 1979 mit einem Vortrag des kolumbianischen Soziologen Orlando Fals Borda am Renner-Institut zu Demokratie, Menschenrechten und Frieden in Kolumbien. Nach der Veranstaltung erzählt Orlando von einem Forschungsprojekt seiner Frau, der Soziologin Maria Cristina Salazar, die zu der Zeit noch als vermeintliche Guerillaunterstützerin in haftiert war. Es zeigt die dramatische Situation von Blumen-Arbeiterinnen in der exportorientierten, höchst profitablen Blumenindustrie Kolumbiens auf: Frauen, die auf den Rosen- und Nelken-Plantagen im Hochland rund um Bogotá arbeiteten – schlecht bezahlt, hochtoxischen, im globalen Norden verbotenen Pestiziden ausgesetzt, um ihre Arbeitsrechte und gewerkschaftliche Organisation kämpfend. Fals Borda fragt, ob Österreich ein Selbsthilfe- und Beratungszentrum für diese Frauen finanzieren könnte – und Eva verspricht, sich dafür einzusetzen.

Gründung der Frauen*solidarität

Trotz teils unterschiedlicher Auffassungen schließen sich Frauen aus entwicklungspolitischen, sozialdemokratischen und autonomen feministischen Kreisen zusammen. Gemeinsam gründen sie den Verein „Frauensolidarität – entwicklungspolitische Initiativen für Frauen in der Dritten Welt“, Eva und Sigrun Berger als Proponentinnen. Sie suchen um Finanzierung eines Projektes für die Blumenarbeiterinnen an. Doch die Widerstände gegen ein Projekt von und für Frauen sind groß. Eva, Sigrun und ihre Mitstreiterinnen geben nicht nach, finden Verbündete innerhalb der Ministerien und setzen gleichzeitig auf die Sensibilisierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit.

Und sie haben Erfolg: Sie setzen das erste feministische Frauenprojekt der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit – Concientización, Blumenarbeiterinnen in Kolumbien – durch. Erstmals werden Frauen des globalen Südens von der Politik als eigenständig handelnde Subjekte mit ihren eigenen Zielen und ihren eigenen Wegen zur Selbsthilfe betrachtet. Erstmals stehen frauenspezifische Anliegen wie der Schutz vor sexueller Belästigung, Schutz von Schwangeren und Stillenden sowie Gleichberechtigung im Zentrum eines Entwicklungshilfeprojekts. Erstmals werden Frauen in Österreich als eigenständige Akteurinnen in der Entwicklungspolitik anerkannt – und nicht nur als mitreisende Ehefrauen von männlichen Entwicklungshelfern.

Foto von den Gründerinnen der Frauensolidarität 1984
Die Frauen*solidarität auf Klausur 1984: (v.l.n.r.) Sigrun Berger, Gerda Neyer, Andrea Ernst, Roser Mauler †, Ulrike Lunacek, Eva Kreisky, Lizzi Feiler.

Pionierin der feministischen Entwicklungszusammenarbeit

Als eine der Initiatorinnen und erste Obfrau der Frauen*solidarität hat Eva grenzüberschreitend inspirierend gewirkt. Sie hat in seltener und nachahmenswerter Weise ihre Profession als Politikwissenschafterin mit ihrem Engagement als feministische wie auch entwicklungspolitsche Akteurin verbunden. Als Wissenschafterin war sie eine Pionierin der Analyse institutioneller Machtstrukturen und deren tiefer Verwobenheit mit männlichen Machtstrukturen. Sie hat auf die vielfältigen Verschränkungen im Machtgefälle zwischen Frauen und Männern, zwischen globalem Norden und Süden hingewiesen. Lange bevor dies in den Kanon der feministischen Forschung überging, hat sie auf die Ungleichheit unter Frauen aufmerksam gemacht, auf die Ambivalenz unseres Engagements für die südliche Hemisphäre: Denn während die Blumenarbeiterinnen unter menschenverachtenden Bedingungen Blumen produzierten, wurden Frauen des Nordens mit eben diesen Rosen und Nelken zu Geburts-, Valentins- und Muttertagen geehrt.

Für Eva war Wissenschaft ein Mittel, um gesellschaftliche Ungleichheiten sichtbar zu machen und diese dann – wenn möglich – zu verändern. Diese Haltung war auch impulsgebend und tragend für ein feministisches Projekt, das Anfang der 1980er Jahre im Rahmen der Frauen*solidarität für Frauen und Mädchen aus der Türkei entstand – und das bis heute als „Miteinander Lernen“ in Wien wichtige Arbeit für Frauen, Kinde rund Familien mit Migrationshintergrund leistet. Mit dieser Initiative verankerte die Frauen*solidarität die praktische Auseinandersetzung mit Machtgefälle, Ungleichheit, Umverteilung und gleichberechtigter Zusammenarbeit in Österreich. Es ging darum, voneinander und miteinander zu lernen und gleichberechtigt zusammenzuarbeiten, über alle Unterschiede und Grenzen hinweg. 

Mutige Denkerin und Akteurin

Evas Grundsatz, dass feministische Wissenschaft mit feministischer Politik und feministischem Handeln verbunden werden muss, hat viele entwicklungspolitisch und wissenschaftlich tätige Frauen inspiriert. Eva war Vorbild, stärkende und Vertrauen schenkende Mentorin, großzügige Unterstützerin und kritische Anregerin, die bestehenden Machtverhältnisse und eigenen Sichtweisen immer wieder zu hinterfragen und zu verändern. Viele der in der Frauen*solidarität aktiven oder ihr verbundenen Frauen haben bei Eva studiert und sind von ihr inspiriert worden.

Eva war eine mutige Denkerin und mutige Akteurin, die unbeirrt und gegen alle Widerstände entschlossen für Frauen, für bessere Lebensbedingungen und gegen Ungerechtigkeiten kämpfte. Sie war eine Frau, die mit Empathie für sie und mit anderen kämpfte, mit zäher Ausdauer, beharrlicher Überzeugung und strategischem Blick, Humor und Lebensfreude.

Wir, die Frauen*solidarität, verdanken Eva und ihren Mitpionierinnen unser mehr als 40jähriges Bestehen. Ihr Einsatz und ihre Kraft sind und bleiben uns Ansporn war und bleibt: Es war und ist für uns bis heute Evas Vermächtnis, für eine gerechtere Welt zu kämpfen. Dafür unser tiefer Dank!

Gründungsmitglieder, Vorständinnen und Freundinnen der Frauen*solidarität

Lesetipps:

Eva Kreisky, Marion Löffler (Hrsg.): Diskreter Maskulinismus. Campus Verlag, 2024.

Hörtipp:

„Pionierin für die Frauen“: Andreea Zelinka hat mit Gerda Neyer und Ulrike Lunacek über Eva Kreisky und ihr Werk gesprochen.
Ein Radiobeitrag der Sendereihe Globale Dialoge – Women on Air auf Radio Orange 94.0, nachzuhören unter: www.noso.at