Die philippinische Klima-Aktivistin Mitzi Jonelle Tan setzt sich dafür ein, dass im Kampf gegen die Klimakrise die Stimmen aus dem globalen Süden gehört werden. Im Gespräch mit Michaela Wengler und Hanna Stepanik von der fairplay Initiative des VIDC erzählt sie außerdem, warum Klima-Aktivismus mehr Feminismus braucht.
Auf deinen Social-Media-Kanälen beschreibst du dich als antiimperialistische Klimaaktivistin. Was bedeutet diese Bezeichnung für dich?
Mitzi Jonelle Tan (MJT): Schon als Kind und Jugendliche habe ich die Auswirkungen der Klimakrise auf meine Community miterlebt. Die Philippinen gehören zu den von den Klimaveränderungen am stärksten betroffenen Ländern der Welt. Und trotzdem wissen viele von uns nicht, was der Ausdruck Klimawandel wirklich bedeutet. Die bei uns vermittelte Klimabildung ist stark von außen geprägt, sehr westlich, sehr technisch, sehr entfremdet. Es geht dabei nicht darum, was wir als Gemeinschaft, als Land tatsächlich erleben.
Mein Aktivismus für Klimagerechtigkeit war von Anfang an mit Antiimperialismus verknüpft. Es geht darum zu verstehen, dass die Klimakrise nicht getrennt von ihrem Ursprung gesehen werden kann. Und zwar ist das der Imperialismus, der zur industriellen Revolution geführt hat und dazu, dass die Länder des globalen Nordens ihre Emissionen gesteigert haben und immer weiter die Rohstoffe unserer Länder und unserer Völker im globalen Süden abbauen. Diese Entwicklung ist es, die uns so anfällig für die Auswirkungen der Klimakrise gemacht hat und durch die wir überhaupt erst diese Krise erleben müssen.
Was hältst du als Aktivistin, die auch schon auf UNO-Konferenzen aufgetreten ist, von den Zielen der nachhaltigen Entwicklung, den SDGs? Denkst du, sie sind ein gutes Werkzeug, um den Klimawandel zu bekämpfen?
MJT: Ich denke, dass die SDGs gute Ziele sind, aber sie sind eben nur Ziele. Es gibt keine konkreten Aktionsschritte und Pläne, wie diese zu erreichen sind, und genau da kommen Regierungen und die Zivilgesellschaft ins Spiel. Die Nachhaltigkeitsziele allein bewirken nicht viel, aber sie machen den Menschen begreiflich, dass wir tatsächlich sauberes Wasser, saubere Luft und die Beseitigung von Armut einfordern können. Die SDGs zeigen Wirkung, wenn sich Regierungen diese wirklich zu Herzen nehmen und etwas unternehmen. Aber die meisten gegenwärtigen Regierungen weltweit – vor allem jene im globalen Norden, die die Hauptverantwortlichen der Klimakrise und aller anderen sozioökonomischen Krisen sind – reden vielleicht über ein Ziel und beschließen sogar einige Maßnahmen, aber setzen sie diese dann tatsächlich um? Ich glaube nicht.
Wie hängt deiner Meinung nach der Klimawandel mit Menschenrechten zusammen?
MJT: Der Klimawandel ist eine Existenzkrise, die alle Menschen gefährdet. Sie verstärkt bereits davor bestehende Vulnerabilitäten, wodurch die Klimakrise für Menschen, die bereits von Hunger und Obdachlosigkeit bedroht sind, eine weitere Dimension von Gefahren für ihr Leib und Leben – unser Leib und Leben – bringt. Somit handelt es sich in der Tat um ein Menschenrechtsthema, da Menschen davon betroffen sind. Und der Klimawandel gefährdet unmittelbar das Recht, in einer nachhaltigen Umwelt zu leben.
Du hast auch darüber gesprochen, dass auf den Philippinen Aktivismus ein Tabu-Wort ist. Warum ist das so?
MJT: Auf den Philippinen neigt die Regierung dazu, Aktivist_innen als Terrorist_innen zu bezeichnen. In jüngster Vergangenheit gab es den Fall der zwei jungen Aktivistinnen Jhed Tamano und Jonila Castro, die gegen die Neulandgewinnung aus Gewässern kämpfen. Durch diese Landgewinnung werden die Ökosysteme der Meere und die Existenzgrundlage unserer Fischer_innen zerstört. Die beiden Aktivistinnen wurden vom Militär entführt, und es wurde versucht, sie als Terroristinnen darzustellen. Es gibt also auf den Philippinen allgemein eine ganze Tabu-Kultur aufgrund der Tatsache, wie unsere Regierung darauf reagiert, wenn Menschen um ihr Leben und für ihre Menschenrechte kämpfen.
Eines deiner Ziele ist es, dafür zu sorgen, dass Stimmen aus dem globalen Süden gehört werden. Welche Perspektiven fehlen deiner Meinung nach im globalen Diskurs über den Klimawandel?
MJT: Viel zu viele. Ein sehr konkretes Beispiel ist der Loss and Damage Fund1, der sicherstellen soll, dass Gelder aus dem globalen Norden, der direkt für die Klimakrise verantwortlich ist, in die Gemeinschaften fließen, die aufgrund der Klimakrise bereits Verluste und Schäden erlitten haben. Die Entscheidung darüber ist erst letztes Jahr gefallen. Wie lange wissen wir schon, dass es den Klimawandel gibt? Und wie lange wissen wir schon, dass der globale Süden von der Klimakrise stärker betroffen ist? Und trotzdem gibt es erst jetzt das Eingeständnis, dass Verluste und Schäden entstanden sind, die wiedergutgemacht werden müssen und für die es Entschädigungsleistungen und Gerechtigkeit geben muss.
Wie können Aktivist_innen und Pädagog_innen aus dem globalen Norden vermeiden, kolonialistische und eurozentrische Ansichten über das Klima und den Klimawandel zu reproduzieren?
MJT: Es wird oft gesagt, dass wir auf die Wissenschaft hören sollen. Das ist richtig, aber wir sollten auch auf die Menschen hören, die gelebte Erfahrungen haben. Diese gelebten Erfahrungen sind nicht weniger bedeutend als wissenschaftliches Wissen. Teile unserer Geschichte und einige unserer Strategien und Anpassungen an den Klimawandel sind überhaupt nicht erforscht. Es gibt nicht genügend Wissenschaftler_innen, die zu unseren Themen forschen, es gibt also – noch – keine wissenschaftlichen Publikationen zu unseren Erfahrungen. Es geht darum sicherzustellen, dass diese Stimmen, Geschichten und der Widerstand wertgeschätzt werden und nicht nur jene, die eine „richtige“ formale Bildung genossen haben, die Englisch sprechen oder Zugang zum Internet oder den sozialen Medien haben.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Klimakrise bereits in Europa, den USA, dem globalen Norden angekommen ist. Und wohin wendet ihr euch? Woher wisst ihr, wie ihr euch anpassen sollt? Würdet ihr euch nicht an die Menschen wenden, die die Klimakrise bereits seit geraumer Zeit erleben und gezwungen gewesen sind, sich ohne Unterstützung durch ihre Regierungen an den Klimawandel anzupassen? Wir haben im globalen Süden einen derart reichen Wissensschatz beim Aufbau von Gemeinschaften und darin, dafür zu sorgen, dass alle in Krisenzeiten in Sicherheit sind.
Welche Rolle spielt Feminismus in deinem Aktivismus?
MJT: Feminismus ist von entscheidender Wichtigkeit, da wir verstehen müssen, dass alle Ungerechtigkeiten, die wir erleben, denselben Ursprung haben: der imaginäre Andere. Der Andere als Person of Color, der Andere als Frau, der Andere als die Natur, die von einer Elite beherrscht werden kann. Der Klimakrise zu begegnen bedeutet auch, der Geschlechterungerechtigkeit zu begegnen. Ein sehr konkretes Beispiel: Junge Frauen und Mädchen in einem Teil der Philippinen, der 2013 vom Taifun Haiyan heimgesucht und verwüstet wurde, wurden in die Prostitution gezwungen, da ihre Existenzgrundlage zerstört worden war und sie keine andere Einkommensmöglichkeit hatten.
Hier sehen wir ein Aufeinandertreffen von Klimakrise, Geschlechterkrise und Klassenkrise. Der Klimakrise kann nicht begegnet werden, ohne der Geschlechterkrise zu begegnen. Wenn die Hälfte der Bevölkerung aus Räumen, in denen Entscheidungen getroffen werden, ausgeschlossen wird, wird nicht nur der vulnerabelste Teil der Bevölkerung ausgeschlossen, sondern auch die Hälfte der Lösung. Deshalb brauchen wir Feminismus in unseren Klimadebatten.
Anmerkungen: Das Interview entstand im Zuge des von der ADA, der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, geförderten Projekts „Rebels of Change“, das Themen der globalen Nachhaltigkeit – wie etwa die Agenda 2030 der Vereinten Nationen inklusive der SDGs – stärker ins Rampenlicht rückt. // 1 Der Loss and Damage Fund zählt zu den entscheidendsten Ergebnissen der 27. UN-Weltklimakonferenz (COP 27) von 2022. Über diese Finanzierungsmechanismen soll jenen Ländern, die am stärksten unter der Klimakrise leiden, Unterstützung zukommen.
Zur Interviewten: Mitzi Jonelle Tan ist eine Aktivistin für Klimagerechtigkeit aus den Philippinen, die sich von den Prinzipien des Antiimperialismus, der Antikolonialisierung, der Gemeinschaftspflege, der Freude und der Liebe leiten lässt. Sie setzt sich für einen Systemwandel durch kollektive Weltgestaltung und kollektives Handeln ein.
Zu den Interviewerinnen: Michaela Wengler und Hanna Stepanik leiten gemeinsam den Arbeitsbereich „Sport, Entwicklung und Menschenrechte“ bei der fairplay Initiative am VIDC (Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit). fairplay ist eine Initiative für Vielfalt und Antidiskriminierung im Sport mit thematischen Schwerpunkten in den Bereichen Antidiskriminierung und Diversität, soziale Inklusion, Menschenrechte und Entwicklung und Prävention von Extremismus.