Artikelbild

„Wir wollen keine Verzierung auf der Torte sein!“

Über die Arbeit von Afro Rainbow Austria

Interview mit Henrie Dennis

Afro Rainbow Austria (ARA) ist die erste Organisation von und für LGBTIQ+-Menschen aus afrikanischen Ländern in Österreich. ARA wurde aus der Notwendigkeit heraus ins Leben gerufen, eine Community aufzubauen, die speziell auf die Bedürfnisse von queeren Afrikaner_innen fokussiert. Die Gründerin und Obfrau von ARA, Henrie Dennis, erzählte Claudia Dal-Bianco mehr über die Hintergründe und die Arbeit von ARA.

Wie ist die Situation von queeren Menschen aus afrikanischen Ländern in Österreich?

Henrie Dennis (HD): Viele Menschen kämpfen mit ihrem Coming-out. Als Organisation ist es nicht unsere Priorität. Wir wollen uns selbst schützen. Sicherheit ist immer noch Priorität Nummer eins. Jeder denkt, dass Wien sicher ist. Aber ich denke, dass Sicherheit eine Illusion ist, weil es Orte gibt, an die ich nicht gehen kann. Oder wenn ich dorthin gehe, muss ich mich zusätzlich schützen.

Als queere Afrikaner_innen sind wir mit mehreren Diskriminierungen konfrontiert: ich bin Schwarz, queer und eine Frau. Wir begegnen Rassismus, Homofeindlichkeit und Sexismus. Das ist eine Frage von intersektionalen Genderbildern. Unser Leben als afrikanische Frauen, und dann noch als lesbische afrikanische Frau, bietet mehrere Diskriminierungsebenen.

In den Augen der Weißen sind wir alle Schwarz. Aber meine Realität als in Afrika geborene und aufgewachsene lesbische Frau ist völlig anders als die einer anderen Person aus Afrika oder einer queeren Person afrikanischer Herkunft, die in Österreich geboren und aufgewachsen ist. Weiße machen es sich bequem, weil für sie all diese Kämpfe unsichtbar sind.

Die Queerfeindlichkeit geht nicht nur von der weißen österreichischen Mehrheitsgesellschaft aus, sondern auch von der afrikanischen Community. Wir beteiligen uns nicht nur an den Kämpfen von Menschen afrikanischer Herkunft in Österreich, sondern wir gehen auch auf die Diskriminierungen ein, denen wir in der afrikanischen Community ausgesetzt sind.

Warum hast du ARA gegründet? Was war deine Motivation?

HD: Als ich nach Österreich kam, fühlte ich mich nicht verloren, denn um ehrlich zu sein, wusste ich schon vorher, dass ich verloren war. Ich versuchte Anschluss zu finden. Aber die Orte, die ich aufsuchte, waren auch nicht ganz für Menschen wie mich, weil man einen Teil seiner Identität aufgeben muss, um in diese Räume zu passen. Es gab zwar unterschiedliche Schwarze Communitys, aber ich fühlte mich fehl am Platz, weil ich gerade aus Nigeria kam und nicht einmal deutsch sprach.

Selbst der Versuch dazuzugehören, hatte für mich keine Priorität. Ich wollte einfach nur existieren. Ich mag Partys, Tanzen und Musik hören. Es gab diese monatlich stattfindenden Lesbenpartys. Ich ging hin und war die einzige afrikanische Lesbe in der Szene. Doch als ich das erste Mal eine andere Afrikanerin dort sah, ging ich direkt zu ihr. Wir verstanden uns auf Anhieb und merkten, dass die Stimmung anders war.

Mein Wunsch war, da einen Ort, an dem man sich wie zu Hause fühlen kann, an dem man nicht eine der Identitäten ablegen muss, zu schaffen. Ich wollte neue queere Menschen kennenlernen. Also habe ich nach queeren Afrikaner_innen gesucht. Zusätzliche Motivation, ARA zu gründen, war, Informationen, die ich gesammelt hatte, zu teilen. Es gibt so viel Desinformation. Ich wollte mein Wissen teilen, die Informationen an andere queere Afrikaner_innen weitergeben und unsere Queerness feiern.

Ein Ziel von ARA ist auch die Zusammenarbeit mit queeren Organisationen in Afrika,  also den Austausch zwischen jenen, die in der Diaspora und auf dem Kontinent leben, zu fördern. Wie passiert das?

HD: Ich war schon früher, als ich noch sehr jung war, in Nigeria aktiv. Ich habe mich nie versteckt. Die Vorstellung, hierher zu kommen und das Gefühl zu haben, dass die Arbeit erledigt ist, ist eine Illusion. Es war für mich extrem wichtig, mit meinen Wurzeln verbunden zu bleiben. Das war auch eines der Dinge, die mich geerdet haben.

Wir tauschen uns mit Aktivist_innen aus Nigeria, Äthiopien und Kenia aus. Dabei unterliegen wir aber auch Machtverhältnissen. Ich bin vorsichtig mit der Reproduktion von „weißem Wissen“. Denn wir sind einer Gehirnwäsche unterzogen und nehmen an, dass jegliches Wissen vom Westen überlegen ist.

Es geht aber nicht darum, Informationen von hier nach dort zu übernehmen. Wir tauschen uns aus und lernen voneinander. Wir unterstützen queere Unternehmen oder beteiligen uns bei Filmfestivals. Da arbeiten wir beispielsweise mit queeren Filmschaffenden aus Kenia und Nigeria zusammen und zeigen ihre Filme hier in Österreich. Es geht darum: Was brauchen sie, und was brauchen wir?

Was sind deine politischen und gesellschaftlichen Forderungen?

HD: Wir wollen sichtbar sein. Weiß-sein hat eine Taktik. Es wird meist eine „Herzeigeperson“ genommen, deren Geschichte verstanden wird. Wenn dieselbe Person immer und immer wieder dieselbe Geschichte erzählt, wird dabei vergessen, dass es mehrere Realitäten gibt. Der Erfolg dieser einen Person ist nicht die Geschichte von allen. Sie ist nicht der Erfolg jeder queeren Afrikaner_in.

Im Grunde haben sich unsere Ansprüche nicht geändert, wir wollen das gleiche Essen, das auch jede andere Organisation serviert bekommt. Wir wollen keine Verzierung auf der Torte sein, nachdem die Party bereits geplant ist. Wir wollen nur unsere Rechte. Wir brauchen dafür finanzielle Mittel. Wir sind aber nicht in diesem bürokratischen System aufgewachsen. Deshalb wirkt es für uns völlig absurd. Es existieren Sprachbarrieren. Wir versuchen einige dieser Schwierigkeiten mit Verbündeten zu überwinden.

Wie können andere Aktivist_innen und Organisationen die Bemühungen von queeren Menschen aus afrikanischen Ländern in Österreich unterstützen?

HD: Ich möchte nicht eines der Kleidungsstücke sein, die man heute anzieht und morgen wieder auszieht. Wir wollen eine Verbündetenschaft. Wir wollen, dass andere Organisationen nicht die westliche Perspektive der Zusammenarbeit in den Mittelpunkt stellen.

Ein Igbo-Sprichwort sagt: „Wer den Schuh trägt, weiß, wo er weh tut.“ Ich kann nicht den Schuh tragen, und du sagst mir, dass die Rückseite meines Beins weh tut, wenn offensichtlich mein großer Zeh weh tut. Wir wollen Organisationen, die sich selbst weiterbilden und nicht, dass ich das tun muss und so von euch retraumatisiert werde.

Alle Organisationen sollten der Inklusion in ihrer Organisation Priorität einräumen. Es reicht nicht zu sagen: „Oh, wir kennen Afro Rainbow Austria.“ Auch queere Afrikaner_innen müssen in Organisationen eingebunden werden. Es reicht nicht, es zu denken und sich zu wünschen. Man muss die Gedankengänge auch praktisch umsetzen!

Webtipp: https://afrorainbow.at

Zur Interviewten: Henrie Dennis ist die Gründerin und Obfrau von ARA. Sie ist lesbisch, kommt aus Nigeria und arbeitet unerlässlich daran, die Situation für andere LGBTQI+-Menschen aus Afrika sowohl in Österreich als auch auf dem afrikanischen Kontinent zu verbessern.

Zur Interviewerin: Claudia Dal-Bianco ist Redakteurin bei der Zeitschrift frauen*solidarität und Radioredakteurin bei den Globalen Dialogen der Women on Air auf Radio Orange 94.0.

Weitere Artikel aus dem Thema