„Wir müssen eine partizipative Kultur schaffen“

Sinkende Wahlbeteiligung, fehlendes Vertrauen in Regierungen und Institutionen: viele Bürger_innen wünschen sich mehr direkte Mitbestimmung. Im Europarat koordiniert Nela Perle Projekte zu partizipativer Demokratie, aktuell zum Beispiel in der Ukraine und in Georgien.

Was bedeutet denn eigentlich partizipative Demokratie?


Nela Perle (NP): Partizipative Demokratie heißt erstmal nichts anderes als Bürger_innenbeteiligung – und zwar auch außerhalb von Wahlen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Bürger_innen sich immer mehr direkt an Entscheidungsprozessen beteiligen wollen. Sie wollen nicht nur politische Parteien wählen, welche für die Bürger_innen entscheiden, sie wollen mehr direkte Mitsprache. In vielen Ländern gehen die Leute nicht mehr zu den Wahlen, weil sie kein Vertrauen in die Parteien und in die politischen Institutionen haben, die Wahlbeteiligung geht zurück. Daher wird es immer populärer, andere Formen der Mitbestimmung zu finden, z. B. Online-Bürger_innenbefragungen, Weltcafés oder Bürgerräte.

Wo setzt die Arbeit des Europarats an, was soll erreicht werden?

NP: Der Europarat hat das Thema aufgegriffen, weil es für diese neuen Formen der Partizipation wenige Standards gab. Für Wahlen gibt es internationale Standards, in den Verfassungen verankert. Aber es gab sie kaum, um diese neuen Formen der Bürger_innenbeteiligung zu kontrollieren und sicherzustellen, dass diese nach demokratischen Grundprinzipien ablaufen und nicht missbraucht werden. Z.  B., wenn eine Regierung oder ein_e Bürgermeister_in nur das Ergebnis wahrnehmen, das sie hören wollen; oder wenn sie Bürger_innen nur einbeziehen, um sich den Anschein von Bürgernähe zu geben. 

Im März hätten in der Ukraine Wahlen stattfinden sollen, doch die sind im Kriegsrecht ausgesetzt. Wie kann unter den Bedingungen des Krieges ein Projekt zur Bürger_innenbeteiligung umgesetzt werden?

NP: Wir arbeiten seit 2019 in der Ukraine, das Projekt war immer eines der Vorreiterprojekte. Viele der Partizipationsmethoden, die dort entwickelt wurden, haben wir seither auch z. B. in Georgien oder der Türkei eingesetzt. Im Februar 2022, mit dem Beginn der russischen Invasion, stand unser Projekt, so wie alle Projekte internationaler Organisationen, zuerst einmal still. Dann stellte sich schnell heraus, dass unsere Mechanismen für die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung in der Krisensituation äußerst nützlich waren.

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