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Frauen bauen ihre eigene Stadt gegen Gewalt

Ein Artikel von:
Alessandra Naar
Alles begann mit dem Traum von einem würdevollen Leben. Heute leben bereits mehr als 500 geflüchtete Kolumbianerinnen in der „Stadt der Frauen“, die sie mit ihren eigenen Händen geschaffen haben. „Ein würdevolles Leben.“ Das war die Antwort von Ana Luz Ortega 2019 in einem Gespräch mit Unidad para las Víctimas auf die Frage, was Frauen am meisten brauchen würden: noch viel mehr als Strom, Wasser oder Gas – das sie ebenfalls nicht hatten. Ana Luz Ortega wohnt in der Stadt der Frauen. Das Wohnprojekt umfasst 102 Häuser zu je 78 Quadratmeter und wurde 2006 von der Liga vertriebener Frauen (LMD) in der Gemeinde Turbaco im Norden Kolumbiens gegründet. Ihre Mission war es, entwurzelten Frauen aus unterschiedlichen Regionen Kolumbiens ein neues Zuhause zu geben. Denn in Kolumbien gibt es über sechs Millionen Menschen, die im bewaffneten Konflikt innerhalb des eigenen Landes vertrieben wurden – 53 Prozent von ihnen sind Frauen. Die Entschädigung dieser Verbrechen für weibliche Opfer hat sich Anwältin Patricia Guerrero, Gründerin der LMD, zur Lebensaufgabe gemacht. Unter Guerreros Leitung begannen die Frauen, sich über ihre gemeinsame Erfahrung auszutauschen und eine kollektive Identität, genährt aus ihrem geteilten Schicksal, aufzubauen. Guerrero hatte die Lebensrealität binnenvertriebener Kolumbianerinnen 1998 kennengelernt. Sie kam nach El Pozón, einem prekären Viertel am Rande Cartagenas, das hunderttausende geflüchtete Menschen anzog und von Drogenhandel, Kriminalität, physischer und sexueller Gewalt geprägt war. „Die Bedingungen waren deprimierend. Wir lebten in cambuches1, wo wir durch Schlamm und Dreck gehen mussten“, erzählt eine spätere Bewohnerin der Stadt der Frauen in einem Video der LMD. 2003 erhielt die Organisation finanzielle Unterstützung über das US-amerikanische Hilfsprogramm USAID und die kolumbianische Regierung. Kurz darauf begannen die Frauen, auf ihrem erworbenen Land eine Stadt zu bauen. Sie lernten, Beton zu mischen, Ziegel herzustellen, Eisen zu formen und die Äcker zu bewirtschaften. Ein kritischer Punkt für Guerrero war die Weiterbildung und Aufklärung der Frauen über ihre Rechte. Mit dem Bau der Stadt wurden die Frauen zu rechtmäßigen Hausbesitzerinnen. Ihre Häuser haben sie grün, lila oder blau bemalt. Es gibt eine Grundschule, kleine Geschäfte, Restaurants, Kinderbetreuung und ein Gemeindezentrum. Die Frauen der Liga sind lange keine Opfer ihrer Geschichte mehr, sondern Protagonistinnen, Führungskräfte und Vertreterinnen ihrer Rechte. Anmerkung: 1 Cambuches sind improvisierte Behausungen aus Plastik oder Karton. Zur Autorin: Alessandra Naar hat Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien studiert und arbeitet multimedial zu Themen der Identität, dekolonialer Strategien und Dekonstruktion.

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