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Minna Salami (©Nadyah Aissa)

„WIE TOM UND JERRY, DIE SICH BEKÄMPFEN, WÄHREND DER HAUSHERR NIRGENDS ZU SEHEN IST“

Ein Artikel von:
Minna Salami
Andreea Zelinka

Interview mit Minna Salami

Haben Schwarze Frauen die feministische Bewegung erfunden? Was haben Rebecca Walker, Kimberlé Crenshaw, Beyoncé und Chimamanda Ngozi Adichie gemeinsam? Andreea Zelinka hat die nigerianisch-finnisch-schwedische Schriftstellerin und Sozialkritikerin Minna Salami gefragt.

In Ihrem Buch Sinnliches Wissen. Eine Schwarze feministische Perspektive für alle1 zitieren Sie Gloria Steinem, die sagte, dass Schwarze Frauen die feministische Bewegung erfunden haben. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Minna Salami (MS): Was wir heute als Feminismus bezeichnen, begann in den späten 1890er bis frühen 1900er Jahren. Die erste Welle des Feminismus wurde stark von den damaligen internationalen Kämpfen für die Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels und der Sklaverei beeinflusst. In Jamaika gab es z. B. die Nanny of the Maroons, die einen ähnlichen Kampf geführt hatte.

In den USA arbeiteten die Frauen, die den Feminismus als Interessengruppe begründeten, direkt mit den Abolitionist_innen zusammen, mit Frauen wie Ida B. Wells und Männern wie Frederick Douglass. Durch den Anreiz der Schwarzen Frauen erkannten sie, dass sie sich nicht für die Freiheit der versklavten Schwarzen Männer einsetzen konnten, ohne die versklavten Schwarzen Frauen zu berücksichtigen. Sie begannen zu begreifen, wie sie selbst als Frauen unterdrückt wurden.
Die zweite Welle wurde durch das Buch The Feminine Mystique von Betty Friedan ausgelöst und führte zur wahrscheinlich größten Frauenrevolution aller Zeiten.

Die Schlüsselfiguren der zweiten Welle waren an der Bürgerrechtsbewegung beteiligt. Weiße Frauen begriffen allmählich, dass sie sich der weißen Vorherrschaft und dem Patriarchat nicht widersetzen konnten, ohne sich mit race2 auseinanderzusetzen. In vielen Versammlungen betonten Schwarze Frauen wie Florence Kennedy, dass sie das erleben, was wir heute als intersektionale Unterdrückung bezeichnen. Wenn wir über die zweite Welle sprechen, meinen wir oft, dass diese Zeit von weißen Feministinnen dominiert wurde, und zwar in Bezug auf Geld, institutionelle Macht und Finanzierung. Aber tatsächlich war race eine der Schlüsselfragen für den Feminismus der zweiten Welle.
Die 3dritteWelle wurde von der Schwarzen Feministin Rebecca Walker geprägt, Tochter der 2. Welle-Feministin Alice Walker. Begriffe wie Intersektionalität wurden von Kimberlé Crenshaw geprägt und definierten die dritte Welle. Ikonen wie Beyoncé und Chimamanda Ngozi Adichie haben entscheidend dazu beigetragen, wie wir die dritte Welle verstehen. #MeToo war ein Begriff, der von der Schwarzen Feministin Tarana Burke erfunden wurde.
Ein weiterer erwähnenswerter Schlüsselmoment markiert Simone de Beauvoirs in den 1940er Jahren geschriebenes Buch Das andere Geschlecht. Auf ihrer Reise durch Nordamerika war de Beauvoir von den Werken von Richard Wright und W.E.B. Du Bois stark beeinflusst worden. In der Geschichte des Feminismus hat sich die Bewegung immer wieder vom Kampf der Schwarzen inspirieren lassen.

Audre Lorde schrieb: „Eine vermeintliche Homogenität von Erfahrungen, die es in Wirklichkeit nicht gibt, wird mit dem Begriff Schwesternschaft verschleiert.“3 Sie kritisierte, dass weiße Feministinnen sich hauptsächlich als Frauen verstehen und dabei andere Identitäten vergessen, die ebenfalls ihre Position in der Welt bestimmen, sie lehnte den Begriff jedoch nicht ab.Und auch Sie argumentieren, dass er als politische Verbindung für eine feministische Revolution notwendig ist.

MS: Ich teile die Position von Audre Lorde sehr. Sie hat den Begriff problematisiert. Ich denke, es ist wirklich dringend notwendig, sich weiterhin mit dem Gefühl, das durch den Begriff Schwesternschaft hervorgerufen wird, auseinanderzusetzen. Und ich spreche von dem Gefühl und nicht von der Schwesternschaft selbst, denn ich räume gleichzeitig ein, dass es vielleicht bessere Möglichkeiten gibt, das Gefühl auszudrücken. Seit ich das Buch geschrieben habe, habe ich angefangen, mehr über den Begriff Freundschaft nachzudenken. Wie Audre Lorde, bell hooks und andere Feminist_innen betone ich also, dass Schwesternschaft ein politisches Gefühl ist. Aber ich denke, wir können nicht verhindern, dass Schwesternschaft vereinnahmt, als konsumorientiert und süß dargestellt wird, und zwar in einer Weise, die von Feministinnen nie beabsichtigt war.

Schwesternschaft wird oft biologisch verstanden, denn sie bedeutet Familie und Blutsbande. Unsere Freund_innen suchen wir uns hingegen aus und investieren unsere Zeit in die Freundschaft. Wenn wir dies in einem feministischen Kontext betrachten, bedeutet es, dass wir uns bemühen, einander zu verstehen. Denn um feministische Freundschaften zu haben, müssen wir die verschiedenen Arten verstehen, in denen patriarchale Systeme das Leben unserer Freund_innen beeinflussen.

Es gibt viele Reibungen innerhalb der feministischen Bewegungen. Es gibt BIPOC-Feminist_innen, die nicht mehr mit weißen Feminist_innen zusammenarbeiten wollen. In Ihrem Buch kommen Sie jedoch zu dem Schluss, dass wir ein gemeinsames Gefühl der politischen Schwesternschaft brauchen, um uns zu organisieren. Wie können wir das erreichen?
MS: Wenn man diese Art von Reaktion von Braunen, Schwarzen, Indigenen Feminist_innen hört, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir kein Monolith sind. Die Idee der politischen Schwesternschaft wurde vor allem von Schwarzen Feminist_innen entwickelt, da wir in der Lage sind, diese Art von Behauptung aufzustellen. Für weiße Feminist_innen, die mit so vielen Privilegien in dieses Gespräch gehen, ist es schwieriger. Wenn also eine bestimmte Schwarze Feministin oder ein Kollektiv Schwarzer Feminist_innen beschlossen hat, nicht mit weißen Frauen zusammenzuarbeiten, bedeutet das nicht, dass dies die Position aller Feminist_innen of Color ist.

Es ist gefährlich, das Bild zu zeichnen, dass Schwarze Feminist_innen keine politische Schwesternschaft wollen, obwohl wir es sind, die genau diesen Begriff geschaffen haben, damit wir sie haben können. Ja, wir wollen Schwesternschaft, aber wir müssen uns alle der intersektionalen Unterdrückung bewusst werden, der wir als Feminist_innen of Color ausgesetzt sind. Und ich denke, wir müssen Koalitionen eher entlang unserer Politik als entlang unserer ethnischen und sozialen Hintergründe bilden.

Glauben Sie, dass es eine internationale Solidarität zwischen Frauen geben kann?

MS: Es ist wie bei einem brennenden Haus: Wir können viel Zeit damit verbringen, darüber nachzudenken, wie wir das Feuer am besten löschen, wer das meiste Wasser und die meisten Ressourcen hat, wer die Stärkste ist, und währenddessen brennt das Feuer weiter. Oder wir können uns einfach daran machen, das Feuer zu löschen. Wie können wir das Feuer des Patriarchats löschen? Ich denke, wenn wir mit Klarheit und Dringlichkeit erkennen, dass wir das nur gemeinsam tun können.

Wir wollen, dass jede Frau Feministin ist und sich gegen das Patriarchat stellt, das ist Schwesternschaft. Wir sind eine Kraft, ein Team, eine Gruppe, eine Widerstandsbewegung. Es mag den Anschein haben, dass wir relativ groß sind, weil im Moment so viel über Feminismus gesprochen wird. Aber wir sind immer noch eine winzige Minderheit unter den etwa vier Milliarden Frauen auf diesem Planeten. Wir wollen, dass dieser Anteil steigt. Das sollte unsere Hauptaufgabe als Feministinnen sein. 

Ich denke immer öfter an den Zeichentrickfilm Tom und Jerry, wenn ich die vielen Spaltungen im heutigen Feminismus beobachte, zwischen weißen Feministinnen und Feministinnen of Color, zwischen trans Frauen und cis Frauen, zwischen Frauen verschiedener Klassen. Es ist, als ob Tom und Jerry sich gegenseitig bekämpfen, während der Hausherr nirgends zu sehen ist. Aber er ist der wahre Feind. Wir sollten uns mit den Konflikten zwischen uns befassen. Aber wir müssen unseren Fokus auf den wahren Feind richten, und das ist das Patriarchat.

Anmerkungen: 1 Minna Salami: Sinnliches Wissen. Eine Schwarze Perspektive für alle. Matthes & Seitz: Berlin 2021 // 2 Da „Rasse“ rassifiziertes Denken reproduziert, wird hier das englische Wort race verwendet. Um auf die dominante und privilegierte Position innerhalb der Machtverhältnisse hinzuweisen, wird weiß kursiv gesetzt.Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt, das nicht auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. Of Color ist eine internationale solidarische Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen.// 3 Audre Lorde: Alter, Race, Klasse und Gender: Frauen definieren Verschiedenheit neu, in: Sister Outsider, Hanser: München 2021.

Zur Interviewten: Minna Salami ist Schwarze Feministin, Journalistin und Autorin und betreibt den preisgekrönten Blog msafropolitan.com. Sinnliches Wissen ist ihr erstes Buch.

Zur Interviewerin: Andreea Zelinka ist Redakteurin der frauen*solidarität.

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