Artikelbild

Feminist Food Politics

Ein Artikel von:
Elisabeth Lechner

Zwischen Konsumverzicht und globaler Ernährungsrevolution

In Debatten um ethisch und ökologisch vertretbares Essen wird oft an das (schlechte) Gewissen appelliert. Doch statt einer Änderung des individuellen Ess- und Konsumverhaltens fordert die feministische Agrarökologie die Revolution unseres ganzen Ernährungssystems. Das Motto: Fürsorge statt Profite!

„Was gibt’s heute zu essen?“ An dieser Frage lassen sich die wichtigsten Grundpfeiler eines politischen Nachdenkens über Ernährung festmachen. Welches Bild entsteht durch sie in unseren Köpfen? Höchstwahrscheinlich das eines hungrigen, ungeduldigen Kindes, das sich an seine Mama wendet. Denn obwohl die Assoziationen je nach Zugang zu Lebensmitteln und Einbettung in verschiedene Kulinarik-Traditionen global ganz unterschiedlich ausfallen, bleibt eine Grundannahme weitestgehend unhinterfragt: Kochen ist Frauensache. Denn wer sonst sollte innerfamiliär für den Mental Load rund um Essensversorgung zuständig sein? Wer die dazugehörige Care-Arbeit machen?

Feministisch essen bedeutet daher, gegen Patriarchat und Klimakrise gleichermaßen vorzugehen, indem Essenspolitiken – im Kleinen wie im Großen – aus Geschlechter-, sozialer Gerechtigkeits- und Nachhaltigkeitsperspektive grundlegend neu verhandelt werden.

Ist der Kampf um klimabewusstes Essen weiblich?

Weithin bekannt und doch noch immer schockierend: Unsere Ernährung verursacht ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen. Es geht dabei um den Ausstoß von CO2, Methan und Lachgas, um Lebensmittelverschwendung sowie die (Über-)Nutzung von Land- und Wasserressourcen bis hin zur Abholzung brasilianischer Regenwälder für Futtermittel in der industriellen Nutztierhaltung.

Auf individueller Ebene ist der Umstieg auf eine vegane Ernährung einer der größten Hebel, um den persönlichen Klima-Fußabdruck zu reduzieren. Laut Silke Oppermann, WWF-Referentin für Nachhaltige Ernährung und Klimaschutz, könnte Deutschland 50 % seiner ernährungsbedingten Emissionen einsparen, würden alle auf eine pflanzenbasierte Ernährung umstellen.

Warum also verzichten wir im deutschsprachigen Raum nicht öfter auf Wurst und Schnitzel? Unsere Essensvorlieben vermitteln nicht nur ein Gefühl von Zuhause und (nationaler/ethnischer/religiöser) Zugehörigkeit, sie sind auch geschlechtlich überformt. In der Werbung (Grillen!) suggeriert ein Riesenstück Fleisch männliche Virilität, während die vom Schlankheitsdiktat gequälten Frauen sich mit Salaten in Verzicht üben und dadurch weibliche Attraktivität demonstrieren.

Sofern es nicht um Topjobs in der Spitzengastronomie oder Barbecues im Garten geht, ist die Beschäftigung mit der ganz alltäglichen, oft unbedankten und unbezahlten Versorgung mit nahrhaften Mahlzeiten Frauensache. Sind es traditionelle Geschlechterrollen, denen wir zu verdanken haben, dass sich Frauen eher für eine vegetarische oder vegane Ernährung entscheiden als Männer? Die wegen ihrer reproduktiven Fähigkeiten konstruierte Nähe zur Natur? Oder ist es das ihnen anerzogene Sich-Kümmern um ihr Umfeld, das auch in Essensfragen zu mehr Empathie rund um tierrechtliche und klimaaktivistische Fragen führt?

Mit Agrarökologie über den Tellerrand schauen

All diese Fragen denkt auch die feministische Agrarökologie mit. Sie geht aber noch viel weiter! Eine wunderbare Einführung bietet der mehrteilige Podcast „A Journey through Feminist Agroecology“. Schon in der ersten Folge wird klar: Wer wirklich nachhaltig und sozial gerecht wirtschaften will, darf rund um Diskussionen von Produktions- und Arbeitsbedingungen die Komponenten Geschlecht, Klasse und Race nicht außer Acht lassen.

Die feministische indigene Aktivistin Diana Lilia Trevilla Espinal aus Mexiko erläutert, wie global agierende, profitgetriebene Konzerne nach wie vor indigene Bevölkerungsgruppen enteignen. Und wie kapitalistisch-patriarchale Strukturen dazu beitragen, dass Frauen zwar erhebliche Anteile der Arbeit – vor allem Reproduktionsarbeit (Kochen, Reinigen, Fürsorge für Kinder, Kranke und Alte) – auf Höfen übernehmen, sie aber selbst kein Land oder Eigentum besitzen.

Intersektionale, dekoloniale Feminist_innen wie Diana fordern daher ein radikales Umdenken in der Lebensmittelproduktion. Sie imaginieren und erproben eine Landwirtschaft, die die Reproduktion des Lebens, also die Sorge um uns selbst, unsere Gemeinschaften und Ökosysteme, über Profite stellt. Die Auswahl von Sorten und Samen, die Fruchtbarkeit des Bodens und Arbeitsbedingungen der Arbeiter_innen, kollektive Formen von Care, die Beziehungen zu Konsument_innen und das gute Leben aller in ihrer Community stehe im Mittelpunkt. Von einer auf Märkten angebotenen Ware wird Essen wieder das, was es eigentlich sein sollte: ein Grundrecht und eine tägliche Notwendigkeit.

Wege aus der Krise

Ich lebe seit mehr als zehn Jahren vegan und noch viel länger vegetarisch. Für eine 33-jährige Österreicherin ist das zwar nicht die Regel, aber auch nicht weiter bemerkenswert. Ich kam zu dieser Entscheidung, weil ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin und es nie geschafft habe, zu unseren sogenannten „Nutztieren“ ein instrumentelles, verdinglichtes Verhältnis aufzubauen, während für unsere „Haustiere“ Liebe und Fürsorge vorgesehen waren. Die Unterscheidung schien mir schon in frühester Kindheit artifiziell und falsch. Als ich von den Auswirkungen der industriellen Tierhaltung auf die Klimakrise erfuhr, kamen zu meiner tierethischen Überzeugung noch ökologische Überlegungen hinzu. Gut für die Tiere und das Klima!

Als politisiert empfinde ich mein kulinarisches Verhalten aber erst, seitdem ich mich mit Ernährungssouveränität und feministischer Agrarökologie beschäftige und begriff, dass ein feministisches Ernährungssystem soziale Gerechtigkeit und Fürsorge statt Profite in den Fokus allen Landwirtschaftens stellt.

Auf einer individuellen Ebene bewusster konsumieren ist also oft nur der Einstieg in radikaltransformative feministische Ernährungspraktiken, die in Solidarität mit indigenen Völkern und Frauen im globalen Süden nahrhaftes Essen aus fairen Produktionsbedingungen für alle fordern. Optimistisch betrachtet, ist das vegane Schnitzel aus dem Supermarkt vielleicht der erste Schritt in diese Richtung.

Zur Autorin: Elisabeth Lechner ist promovierte Kulturwissenschaftlerin, Dozentin und Autorin von „Riot Don’t Diet – Aufstand der widerspenstigen Körper“. Sie forscht an der Schnittstelle von Popkultur-Studien, feministischer Medienwissenschaft, Affect & Body Studies, publiziert wissenschaftlich und essayistisch und gibt Workshops zu Medienkompetenz, Feminismus, Body Positivity, Body Shaming und Lookismus. Social Media: @femsista.